Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften, für die kein Börsenkurs notiert wurde bzw. wird, mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ist der gemeine Wert aus Verkäufen unter fremden Dritten abzuleiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen. Ist dies nicht möglich, so ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zu Grunde legen würde.
Vor diesem Hintergrund ist das rechtskräftige Urteil des FG München v. 26.1.2022 (Az. 4 K 1283/20) zu sehen, mit dem das FG entschieden hat,
– dass Verhandlungen über den Verkauf von Anteilen an einem Unternehmen, die vor dem Bewertungsstichtag stattgefunden, aber zu keinem Vertragsabschluss geführt haben, bei der Ableitung des gemeinen Wertes nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG nicht zu berücksichtigen sind.
– Erfolgt der Verkauf der Anteile an einem Unternehmen nach dem Bewertungsstichtag, ist er auch dann nicht nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG zu berücksichtigen, wenn bereits vor dem Bewertungsstichtag mit anderen potenziellen Käufern (erfolglose) Verkaufsverhandlungen stattgefunden haben sollten.
– Eine Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen, die erst nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen worden sind, erfolgt ausnahmsweise, wenn der formelle Vertragsabschluss kurz nach dem Stichtag liegt und die Einigung über den Kaufpreis schon am Bewertungsstichtag herbeigeführt war.
Im konkreten Streitfall war zwar vordergründig die Bewertung eines KG-Anteils (in einem die Schenkungsteuer betreffenden Sachverhalt) umstritten, für die Ermittlung des gemeinen Werts eines GmbH-Anteils ist die Regelung des § 11 Abs. 2 BewG aber ebenso anzuwenden, so dass die Urteilsgrundsätze auf die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften übertragbar sind.
Hinweis:
Diese Entscheidung verdeutlicht, dass die starren Bewertungsregeln ihrem Wortlaut nach vergleichsweise wenig Gestaltungsspielraum bieten. Sollte wie im Streitfall eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem bewertungsrechtlichen Unternehmenswert und dem später tatsächlich erzielten Verkaufserlös bestehen, so könnte eine Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen (§§ 163, 227 AO) angestrebt werden (es bedarf zwar keines gesonderten Antrags des Stpfl., in der Praxis wird die FinVerw aber über eine Billigkeitsmaßnahme i.d.R. nur auf Grund eines Antrags entscheiden).