Von der Erbschaftsteuer freigestellt ist die Übertragung eines „Familienheims“ an Kinder unter folgenden Bedingungen:
– der Übergang der Immobilie erfolgt im Rahmen des Erbgangs – nicht begünstigt sind also Schenkungen;
– die Immobilie liegt im Inland oder in einem EU-/EWR-Staat;
– Begünstigte sind Kinder oder Kinder verstorbener Kinder;
– der Erblasser hat in der Immobilie bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt (oder war aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert);
– beim Erwerber ist die Immobilie unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt und
– die Wohnfläche der Wohnung übersteigt 200 m² nicht.
Strittig ist in der Praxis vielfach das Merkmal der „unverzüglichen Selbstnutzung“. Dies erfordert, dass der Erwerber in die Wohnung einzieht und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzt. Die unverzügliche Nutzung erfordert, dass der Erwerber ohne „schuldhaftes Zögern“ handelt. Dabei wird regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall angemessen sein. Dieser Zeitraum umfasst die dem Erwerber zuzubilligende Bedenkzeit, die Zeit für eine eventuelle Renovierung bzw. Gestaltung der erworbenen Wohnung für eigene Wohnzwecke sowie die für den Umzug benötigte Zeit. Nach Ablauf von sechs Monaten kann eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung noch gegeben sein, wenn der Erwerber darlegt und glaubhaft macht, warum ein Einzug in die Wohnung nicht früher möglich ist und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat.
Solche Fälle waren in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung. Hinzuweisen ist z.B. auf das Urteil des FG Münster vom 30.06.2022 (Az. 3 K 3184/17 Erb). Hiernach obliegt dem Erwerber, die Renovierungsarbeiten und die Beseitigung etwaiger Mängel zeitlich so zu fördern, dass es nicht zu Verzögerungen kommt, die nach der Verkehrsanschauung als unangemessen anzusehen sind. Ein unverhältnismäßiger Aufwand zur zeitlichen Beschleunigung ist jedoch nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, wenn der Erwerber alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreift.
Im Urteilsfall beerbte der Stpfl. 2013 seinen Vater, der bis zu seinem Tod eine Doppelhaushälfte alleine bewohnte, als Alleinerbe. Der Stpfl. bewohnte mit seiner Familie die direkt angrenzende Doppelhaushälfte. Nach dem Tod des Erblassers verband der Stpfl. die Doppelhaushälften baulich und katastermäßig zu einer Einheit. Nach Abschluss der umfangreichen, teilweise in Eigenleistung erbrachten Sanierungs- und Renovierungsarbeiten nutzt er die so verbundenen Doppelhaushälften seit August 2016 als eine Wohnung.
Der Stpfl. beantragte für die Doppelhaushälfte des Vaters die Steuerbefreiung von der Erbschaftsteuer zu gewähren. Er trug vor, dass sich die von Anfang an beabsichtigte Selbstnutzung durch die erforderlichen umfassenden Renovierungsarbeiten verzögert habe. Es sei bereits im Dezember 2013 zur Planung der notwendigen auf Grund des Zustandes des Hauses sehr umfangreichen Bau- und Sanierungsmaßnahmen eine Besichtigung mit dem beauftragten Bauunternehmer erfolgt. Der Baubeginn habe sich allerdings auf Grund der Witterungsbedingungen und der engen Auftragslage bis zum April 2014 verzögert. Auch in der Folgezeit sei es zu Verzögerungen gekommen, die jedoch nicht durch ihn zu vertreten seien, z.B. weil bisher unentdeckte Schäden zu Tage getreten seien, die zunächst zu beseitigen waren. Das Finanzamt lehnte die Steuerbefreiung ab und verwies darauf, dass der Stpfl. weder glaubhaft dargelegt noch nachgewiesen habe, dass die bis August 2016 verzögerte vollständige Nutzung des Objekts zu eigenen Wohnzwecken nicht durch ihn zu vertreten gewesen sei.
Das Finanzgericht ging hingegen davon aus, dass der Entschluss des Stpfl., die hinzuerworbene Doppelhaushälfte zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, bereits im Zeitpunkt des Erwerbs oder kurze Zeit danach, aber jedenfalls innerhalb des regelmäßig maßgeblichen Zeitraums von sechs Monaten nach dem Erwerb, feststand. Bezüglich des durch die umfangreichen Renovierungsarbeiten verzögerten Einzugs sei dem Stpfl. ebenfalls kein vorwerfbares Verhalten anzulasten, sodass die Steuerbefreiung zu gewähren sei.
Handlungsempfehlung:
Diese Steuerbegünstigung kann materiell sehr bedeutsam sein, da die Begrenzung nur auf 200 m2 Wohnfläche erfolgt, nicht dagegen wertmäßig. Daher sind die zeitlichen Vorgaben hinsichtlich der Aufnahme der Selbstnutzung dringend zu beachten. Sollte sich die Aufnahme der Selbstnutzung verzögern, so muss dies sorgfältig dokumentiert und der Nachweis geführt werden, dass die Verzögerungen nicht vom Erben zu vertreten sind.
Im Detail sind die möglichen Fristen und Gründe für eine verzögerte Selbstnutzung höchstrichterlich noch nicht geklärt. Beim BFH sind insoweit Verfahren anhängig, so auch gegen das erwähnte Urteil des FG Münster.