Die Übertragung von Unternehmensvermögen durch Schenkung oder im Erbfall ist grundsätzlich bei der Erbschaft-/Schenkungsteuer begünstigt. Im günstigsten Fall wird der Erwerb vollständig von der Steuer freigestellt. Allerdings sind an diese Begünstigung mehrere Bedingungen geknüpft. Zunächst muss der sog. „90 %-Einstiegstest“ bestanden werden. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass nichtunternehmerisches Vermögen (sog. Verwaltungsvermögen), wie z.B. Grundvermögen oder Kapitalvermögen, in dem Kleid eines Unternehmens begünstigt übertragen wird.
Zum Verständnis der Funktionsweise des 90 %-Einstiegstests sind zwei Aspekte von Bedeutung, nämlich zum einen die gesetzliche Abgrenzung des „Verwaltungsvermögens“ und zum anderen die Berechnung der Quote.
Als Verwaltungsvermögen zählt:
– Zahlungsmittel, Geschäftsguthaben, Geldforderungen und andere Forderungen (Finanzmittel) – insoweit auch alle Forderungen aus Lieferungen und Leistungen – und daneben
– Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke (mit gewissen Ausnahmen);
– Kapitalgesellschaftsbeteiligungen, wenn die Beteiligungsquote 25 % nicht überschreitet,
– Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive, Münzen, Edelmetalle usw.,
– Wertpapiere sowie vergleichbare Forderungen.
Die Ermittlung des 90 %-Tests erfolgt anhand der Formel Verwaltungsvermögen/Gesamtwert des übertragenen Betriebs.
Insoweit ist problematisch, dass das Verwaltungsvermögen ohne Kürzung um Schulden einbezogen wird, der Gesamtwert des übertragenen Betriebs (vereinfacht: Unternehmenswert nach der erbschaftsteuerlichen Bewertung) aber unter Berücksichtigung der Schulden ermittelt wird. Rein rechnerisch können sich damit auch Quoten von deutlich über 100 % ergeben.
Diese Problematik tritt z.B. auch bei klassischen Handelsunternehmen auf. Dies kann an folgendem Beispiel gezeigt werden:
Aktiva | Passiva | ||||
Anlagevermögen | 100 | Eigenkapital (= Unternehmenswert) | 100 | ||
Vorräte | 300 | Verbindlichkeiten | 500 | ||
Forderungen aus Lieferungen und Leistungen | 200 | ||||
600 | 600 |
In diesem Fall ist zu rechnen: Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 200 / Unternehmenswert 100 = 200 %. Da die 90 %-Grenze überschritten ist, ist die Übertragung dieses Betriebs insgesamt erbschaftsteuerlich nicht begünstigt.
Über einen solchen Fall hatte nun der BFH zu entscheiden. Mit Urteil vom 13.9.2023 (Az. II R 49/21) hat dieser nun entschieden, dass
– die gesetzliche Regelung der Berechnung des 90 %-Tests dahingehend auszulegen ist, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln in Form von Forderungen/liquiden Mitteln besteht und nach seinem Hauptzweck einer gewerblichen Tätigkeit dient, für den 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind.
Dies sei aus systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen geboten und widerspricht auch nicht dem Anliegen/Ziel des Gesetzgebers, durch den 90 %-Einstiegstest den Missbrauch der Begünstigung von Betriebsvermögen zu verhindern. Insoweit sei „zumindest bei typischen Handelsunternehmen“ eine den Wortlaut eingrenzende Auslegung geboten. Im vorstehenden Beispielsfall wird also der 90 %-Test bestanden und die Übertragung des Betriebs ist grundsätzlich begünstigt.
Handlungsempfehlung:
Offen bleibt zum einen die Abgrenzung eines „typischen Handelsunternehmens“. Im Übrigen betrifft diese Problematik aber vielfach auch andere Unternehmen, so dass eine Anwendung dieser Rechtsprechung über den Fall von Handelsunternehmen hinaus geboten scheint. Die Reaktion der FinVerw bleibt abzuwarten.