Mit Urteil vom 14.9.2022 (Az. I R 47/19) hat der BFH entschieden, dass eine Anwartschaft auf den Bezug von Geschäftsanteilen an einer GmbH (§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG) im Rahmen einer Kapitalerhöhung dann vorliegt, wenn das Bezugsrecht selbständig übertragbar ist. Dies setze voraus, dass die Kapitalerhöhung durch die Gesellschafterversammlung beschlossen bzw. der entsprechende Beschluss in das Handelsregister eingetragen worden ist.
Im Urteilsfall war – sehr verkürzt und insbesondere ohne internationale Bezüge dargestellt – streitig, ob die Stpfl. durch den Verzicht einer Tochtergesellschaft auf die Teilnahme an einer Kapitalerhöhung einen Veräußerungsgewinn i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG erzielt hat. Geklagt hatte die Muttergesellschaft M1 (alleinige Anteilseignerin) einer Tochterkapitalgesellschaft T1, die ihrerseits zusammen mit einer AG zu je 50 % an einer Enkel-GmbH 1 beteiligt war.
Tochter-GmbH T1 und die AG beschlossen in 1998 eine Kapitalerhöhung bei der Enkel-GmbH 1 um 22,5 Mio. DM auf 37,5 Mio. DM. Die durch die Kapitalerhöhung entstehende neue Stammeinlage sollte von der noch zu gründenden GmbH 3 (Anteilseignerin: eine weitere Tochtergesellschaft T2 der M1) übernommen werden. Zudem gewährten die T1 und die AG der T2 ein auf die zu gründende GmbH 3 übertragbares Optionsrecht, von der T1 und der AG weitere Gesellschaftsanteile an der Enkel-GmbH 1 für den Fall einer weiteren Kapitalerhöhung zu erwerben.
Nachfolgend fassten T1 und AG als Gesellschafter der Enkel-GmbH 1 einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss, mit dem allein die GmbH 3 in Gründung zur Übernahme der neuen Stammeinlage zugelassen wurde. Die Höhe der Beteiligung von T1 und AG verminderte sich von jeweils 50 % auf jeweils 20 % und nachfolgend auf jeweils 12,5 %.
Die FinVerw vertrat dazu die Auffassung, dass – ebenfalls verkürzt dargestellt – die T1 ihr Anwartschafts-/Bezugsrecht der Stpfl. (M1) zugewendet und diese die Rechtsposition über die T2 in die GmbH 3 eingelegt habe. Da der gemeine Wert des von der GmbH 3 übernommenen Geschäftsanteils erheblich höher gewesen sei als das von ihr für die Übernahme des neuen Geschäftsanteils entrichtete Entgelt, sei bei der GmbH 3 als Empfängerin der von der Stpfl. getätigten Einlage eine Vermögensmehrung eingetreten. Spiegelbildlich liege eine vGA der T1 an die Stpfl. in Form der verhinderten Vermögensmehrung vor. Die Stpfl. habe durch die Einlage des Anwartschafts-/Bezugsrechtes in die GmbH 3 einen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG erzielt, denn nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG gehöre zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der verdeckten Einlage von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft. Da als Anteile an einer Kapitalgesellschaft gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG auch Anwartschaften auf eine solche Beteiligung anzusehen seien, sei das von der Stpfl. in die GmbH 3 eingelegte Anwartschaftsrecht ein tauglicher Gegenstand im Sinne der Vorschrift. Bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns trete an die Stelle eines Veräußerungspreises im vorliegenden Fall der gemeine Wert des eingelegten Anwartschafts-/Bezugsrechtes.
Der BFH hat diese Auffassung bestätigt: Die Stpfl. habe durch den Verzicht auf die Teilnahme an der im Streitjahr bei der Enkel-GmbH 1 vorgenommenen Kapitalerhöhung Einkünfte erzielt; dieser Verzicht führe (mittelbar über die T2) zu einer verdeckten Einlage von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft, welche der Veräußerung von Anteilen gleichgesetzt sei und die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG erfülle.
Zu den Anteilen an einer Kapitalgesellschaft gehörten eben auch Anwartschaften auf solche Beteiligungen. Denn auch wenn das Bezugsrecht der Altgesellschafter in dem für die Kapitalerhöhung notwendigen Gesellschafterbeschluss ausgeschlossen wurde und damit gesellschaftsrechtlich kein Bezugsrecht entstanden sei, könne dennoch eine (übertragbare) Anwartschaft i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG vorliegen.
Hinweis:
Dieses Urteil unterstreicht, dass im Zuge von Umstrukturierungen ebenso wie bei Kapitalmaßnahmen Sachverhalte verwirklicht werden können, die – da Veräußerungsvorgängen vergleichbar – auch ohne unmittelbare Veräußerung zu einer Veräußerungsgewinnbesteuerung führen können. Dementsprechend sind umsichtig erstellte und fachlich begleitete Konzepte unerlässlich.