Gesetzlich fingiert eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird, als erste Tätigkeitsstätte. Dies hat zur Folge, dass Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und dieser Bildungseinrichtung nur mit der sog. Entfernungspauschale, also einem Betrag von in der Regel 0,30 € pro Entfernungskilometer angesetzt werden dürfen und nicht etwa nach Reisekostengrundsätzen mit 0,30 € je gefahrenem Kilometer. Die FinVerw vertritt insoweit die Auffassung, ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme liege insbesondere vor, wenn der Stpfl. keiner Erwerbstätigkeit nachgeht.
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des FG Niedersachsen zu sehen. Im Urteilsfall war der Stpfl. nicht erwerbstätig und studierte im Rahmen eines Teilzeitstudiums an der Fernuniversität in Hagen Wirtschaftswissenschaften. Für seine Fahrten zu der Fernuniversität begehrte er die steuerliche Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen. Das Finanzamt gewährte dagegen nur die Entfernungspauschale, weil es das Studium wegen der Erwerbslosigkeit des Stpfl. als Vollzeitstudium und die Fernuniversität daher als „erste Tätigkeitsstätte“ des Stpfl. ansah.
Dem widersprach nun das FG Niedersachsen mit Entscheidung vom 16.2.2022 (Az. 4 K 113/20). Anders als die FinVerw stellt das Finanzgericht für die Qualifikation eines Studiums als Voll- oder Teilzeitstudium nicht darauf ab, ob der Stpfl. daneben noch einer Beschäftigung nachgeht, sondern ob die berufliche Fort- oder Ausbildung selbst „typischerweise darauf ausgerichtet ist, dass sich der Stpfl. ihr zeitlich vollumfänglich widmen muss und die Lerninhalte vermittelnden Veranstaltungen jederzeit besuchen kann“. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall aber gerade nicht erfüllt. Daher gewährte das Finanzgericht den Abzug der Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen.
Hinweis:
Gegen diese Entscheidung wurde die Revision eingelegt, welche nun beim BFH unter dem Aktenzeichen VI R 7/22 anhängig ist. In vergleichbaren Fällen sollte geprüft werden, ob die Fahrtkosten ebenso nach Reisekostengrundsätzen angesetzt werden und ggf. im Hinblick auf das anhängige Verfahren vor dem BFH ein Ruhen des Verfahrens beantragt wird.