Die Besteuerung nach § 17 EStG erfasst nicht nur tatsächliche Veräußerungssachverhalte (oder die selteneren Fälle der Einbringung/Einlage), sondern auch Sachverhalte, in denen möglicherweise erst auf den zweiten Blick ein Wechsel der Rechtszuständigkeit zu erkennen ist. So dehnt die Regelung des § 6 AStG die Rechtsfolgen des § 17 EStG auch auf die Fälle der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht aus, beinhaltet also einen besonderen Steuerentstrickungstatbestand ohne Gewinnrealisierung.
Erfasst werden soll mit dieser Regelung der die Beteiligung betreffende Wertzuwachs während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht. Insoweit werden also Wertsteigerungen bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften i.S.d. § 17 EStG steuerlich erfasst, die nach einem Wegzug bei späterer tatsächlicher Veräußerung der Beteiligung nach den meisten DBA ansonsten nicht mehr in Deutschland erfasst werden könnten. Ausgelöst wird diese sog. Wegzugsbesteuerung im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht. Als Rückausnahme dazu entfällt die Besteuerung (nachträglich) jedoch dann, wenn der Stpfl. innerhalb von sieben Jahren seit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird (dann soll eine „nur vorübergehende Abwesenheit“ i.S.d. § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG vorliegen).
Vor diesem Hintergrund ist nun das aktuelle Urteil des BFH vom 21.12.2022 (Az. I R 55/19) zu sehen, mit dem der BFH entschieden hat,
– dass dieses zum Entfallen der sog. Wegzugsbesteuerung führende Merkmal einer „nur vorübergehenden Abwesenheit“ in § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG unabhängig von einer (subjektiven) „Rückkehrabsicht“ schon dann erfüllt ist, wenn der Stpfl. innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens nach dem Wegzug (nach aktuellem Rechtsstand: sieben Jahre) wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird.
Streitig war, ob im Zusammenhang mit einem Wohnsitzwechsel in das Ausland ein Vermögenszuwachs beim Beteiligungsbesitz der Besteuerung zu unterwerfen war. Der Stpfl. war unter Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes zum 1.3.2014 in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gezogen. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs war der Stpfl. an verschiedenen Kapitalgesellschaften mit inländischem Sitz (zu jeweils mindestens 50 %) beteiligt. Mit Schreiben vom 29.12.2015 reichte er seine Einkommensteuererklärung für das Jahr Streitjahr 2014 nach den Maßgaben beschränkter Steuerpflicht ein und erläuterte zugleich, dass seine unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes zwar zum 31.12.2013 beendet worden sei, es aber nur um eine vorübergehende Abwesenheit i.S.d. § 6 Abs. 3 AStG gehe, da er ab dem 1.1.2016 seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland verlegen und wieder als unbeschränkt steuerpflichtig anzusehen sein werde. Tatsächlich war er ab dem 1.1.2016 wieder unter einer inländischen Anschrift gemeldet.
Das FA war der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 AStG für ein Entfallen der Wegzugsbesteuerung nicht erfüllt waren. Zwar sei der Stpfl. wieder zurückgekehrt, er habe aber nicht glaubhaft gemacht, dass er bei seinem Wegzug in die VAE die Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren (subjektive Theorie). Das FA unterwarf daher die gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG zu besteuernden fiktiven Veräußerungsgewinne i.S.d. § 17 EStG der Einkommensteuer.
Der BFH sah hingegen die Voraussetzungen für die Rückausnahme zur Wegzugsbesteuerung als erfüllt an. Im Einklang mit dem Fachschrifttum sei als Tatbestanderfordernis für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung nur die „fristgemäße Rückkehr“ des Stpfl. zu fordern (nicht aber dessen Rückkehrabsicht), da das Merkmal der „vorübergehenden Abwesenheit“ allein das gesetzgeberische Motiv für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung benenne, ohne dass dies als absichtsbegründete eigentliche Tatbestandsvoraussetzung verstanden werden könne. Damit sei dem Regelungszweck „Bewahrung des nationalen Besteuerungsrechts mit Blick auf die stillen Reserven der Kapitalgesellschaftsbeteiligungen“ Genüge getan.
Hinweis:
Dieser Beschluss des BFH unterstreicht, dass ein Wegzug in Drittstaaten erhebliche steuerliche Risiken mit sich bringen kann. Daher sollte frühzeitig steuerlicher Rat eingeholt und auch schon vorsorglich erwogen werden, bereits bei Wegzug im Sinne einer Beweisvorsorge einen etwaigen Rückkehrwillen zu dokumentieren. Zu Gunsten der „auswandernden“ Stpfl. stellt der BFH aber bei fristgemäßer Rückkehr auch gar nicht auf das subjektive Element ab, sondern lässt eine solche fristgemäße Rückkehr für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung genügen. Der Rückkehrwille kann somit durchaus auch erst im Laufe des 7-Jahres-Zeitraums gebildet werden, sofern die tatsächliche Rückkehr ins Inland dann ebenfalls innerhalb der Frist realisiert wird.