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Kindergeld: Umorientierung während einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung

12. Juni 2020

Für ein über 18 Jahre altes Kind kann bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Kindergeld weitergezahlt werden, solange es für einen Beruf ausgebildet wird. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat. Der Anspruch auf Kindergeld endet dann grds. mit Abschluss der ersten Berufsausbildung bzw. des Erststudiums. Wenn das Kind anschließend eine weitere Berufsausbildung vornimmt oder ein weiteres Studium aufnimmt, besteht grds. kein Kindergeldanspruch mehr. Hiervon gibt es allerdings eine wichtige Ausnahme, nämlich wenn eine sog. mehraktige einheitliche Erstausbildung gegeben ist. Ist auf Grund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob die weiterführende Ausbildung in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der nichtakademischen Ausbildung oder dem Erststudium steht und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt wird. Ein enger sachlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die nachfolgende Ausbildung z.B. dieselbe Berufssparte oder denselben fachlichen Bereich betrifft. Ein enger zeitlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Kind die weitere Ausbildung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufnimmt oder sich bei mangelndem Ausbildungsplatz zeitnah zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die weiterführende Ausbildung bewirbt.


Der Bundesfinanzhof hat nun mit Urteil vom 23.10.2019 (Aktenzeichen III R 14/18) den Anwendungsbereich um eine weitere Konstellation erweitert. Entschieden wurde, dass zwei zeitlich und inhaltlich zusammenhängende Ausbildungsabschnitte auch dann zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden können, wenn das Kind sich nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts umorientiert und seine Ausbildung anders als ursprünglich geplant fortsetzt (im Streitfall: Betriebswirtschaftsstudium statt Bankkolleg nach einer Bankausbildung).


Im Streitfall ging es um Kindergeld für den Sohn des Stpfl, der nach dem Abitur eine Ausbildung bei einer Volksbank absolvierte, die im Januar 2015 endete. Die Familienkasse gewährte Kindergeld bis Januar 2015. Nach dem Abschluss seiner Banklehre wurde er von der Volksbank als Vollzeitbeschäftigter mit einer Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche übernommen. Bereits im April 2014 hatte er an einer Informationsveranstaltung über ein Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt teilgenommen, dort seine E-Mail-Anschrift hinterlassen und in der Folgezeit nachgefragt, wann der Studiengang beginnen werde. Am 9.4.2015 wurde ihm mitgeteilt, dass am 20.4.2015 entschieden werde, ob der Studiengang startreif sei. Der Beginn verzögerte sich dann jedoch auf unbestimmte Zeit.


Der klagende Vater (Stpfl.) leitete am 27.4.2015 eine Information des Immatrikulationsbüros einer Hochschule an seinen Sohn weiter, wonach im Wintersemester 2015/16 der Onlinestudiengang Betriebswirtschaftslehre angeboten werde; in den vorangegangenen Durchgängen hätten sämtliche Bewerber einen Studienplatz erhalten. Er bewarb sich am 10.6.2015 auf diesen Studiengang und nahm das Studium zum 1.9.2015 auf.


Im August 2017 beantragte der Stpfl. unter Hinweis auf das im September 2015 aufgenommene Studium erneut Kindergeld. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück.


Der Bundesfinanzhof bestätigt nun aber, dass der Kindergeldanspruch nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist und verwies die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück an die Vorinstanz. Vorliegend sei eine mehraktige einheitliche Berufsausbildung gegeben. Im Streitfall liege der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Banklehre und dem Betriebswirtschaftsstudium vor. Der zeitliche Zusammenhang werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Sohn erst im April 2015 zum Studium der Betriebswirtschaftslehre entschlossen hatte, nachdem die Bankausbildung im Januar 2015 beendet war. Dabei konnte dahinstehen, ob die Bewerbung zum Wintersemester der erste mögliche Zeitpunkt für die Fortsetzung der Ausbildung war. Er hatte schon im April 2014 an einer Informationsveranstaltung für einen weiteren Ausbildungsabschnitt teilgenommen. Der Umstand, dass letztlich das Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen nicht durchgeführt worden war, ändert nichts daran, dass auf Grund objektiver Beweisanzeichen erkennbar war, dass er die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beenden wollte.


Der erforderliche enge sachliche Zusammenhang liegt ebenfalls zwischen der Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Betriebswirtschaftsstudium vor. Die Umorientierung des Kindes (Betriebswirtschaftsstudium statt Bankkolleg) führt nicht zu der Annahme einer mehraktigen Ausbildung. Wird der sachliche Zusammenhang gewahrt, so ist eine Umorientierung unschädlich.


Voraussetzung ist allerdings, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nicht gegenüber einer Berufstätigkeit in den Hintergrund treten dürfen. Das Finanzgericht habe daher im zweiten Rechtsgang insbesondere zu prüfen, ob das Studium eher dem Beschäftigungsverhältnis untergeordnet war oder umgekehrt das Beschäftigungsverhältnis dem Studium.


Handlungsempfehlung:


Auch in diesem Fall zeigt sich, dass eine sorgfältige Dokumentation des Sachverhalts erforderlich ist. Letztlich ist der Einzelfall unter Würdigung der jeweiligen Gesamtumstände zu sehen.

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