Der BFH hat eine wichtige Entscheidung zur Gewährung der Einkommensteuerermäßigung bei ambulanten Pflege- und Betreuungsleistungen getroffen und dabei den Anwendungsbereich der Steuerermäßigung deutlich ausgeweitet, wovon auch viele andere Stpfl. profitieren werden. Danach ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer (ESt) für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnissen oder Dienstleistungen auf Antrag um 20 %, höchstens jedoch um 4 000 €, der Aufwendungen des Stpfl. Ausdrücklich ist geregelt, dass die Steuerermäßigung auch in Anspruch genommen werden kann für die Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Aufwendungen, die einem Stpfl. wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege erwachsen, soweit darin Kosten für Dienstleistungen enthalten sind, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind.
Im Streitfall machte die Stpfl. Aufwendungen für die ambulante Pflege zu Gunsten der nicht im Haushalt der Stpfl., sondern in ihrem eigenen Haushalt lebenden Mutter bei ihrer ESt geltend. Die 1933 geborene Mutter der Stpfl. wohnte in einem eigenen Haushalt in C, knapp 100 km vom Wohnort der Stpfl. entfernt. Sie bezog im Streitjahr eine Rente sowie ergänzende Leistungen der Sozialhilfe.
Am 26.1.2015 schloss die Stpfl. mit der Sozialstation in C eine Vereinbarung zur Erbringung von Pflegeleistungen ab. Im Anhang zu diesem Vertrag waren die Leistungen wie folgt aufgeschlüsselt: Einkaufen; Betreuung, Begleitung, Pflege und Hauswirtschaft. Im Eingang des Vertrags war die Mutter der Stpfl. als Leistungsnehmerin aufgeführt. Der Vertrag sowie der Anhang hierzu waren im Textfeld „Leistungsnehmer/in“ von der Stpfl. unterschrieben. Die von der Sozialstation gestellten Rechnungen wiesen die Mutter als Rechnungsempfängerin aus. Übersandt wurden die Rechnungen an die Stpfl., die sie auch durch Banküberweisung beglich. Der Gesamtbetrag für die Inanspruchnahme der von der Sozialstation gegenüber der Mutter der Stpfl. erbrachten Leistungen betrug im Streitjahr 1 071 €.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Stpfl. diesen Betrag geltend und begehrten die Steuerermäßigung. Dies lehnte das Finanzamt ab. Der BFH entschied nun mit Urteil v. 12.4.2022 (Az. VI R 2/20) im Grundsatz zu Gunsten der Stpfl., konnte aber den Streitfall noch nicht abschließend entscheiden, da die Vorinstanz (das Finanzgericht) zu bestimmten Fragen keine Feststellungen getroffen hatte.
Der BFH stellt insoweit folgende Grundsätze heraus:
– Begünstigt sind nur eigene Aufwendungen des Stpfl., die dessen persönliche Leistungsfähigkeit mindern. Denn es entspricht allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts, dass ein Stpfl. Aufwendungen eines Dritten grundsätzlich nicht abziehen kann. Deshalb setzt die Steuerermäßigung voraus, dass der Stpfl. selbst verpflichtet ist, die Aufwendungen für die Inanspruchnahme der begünstigten Leistungen zu tragen. Aufwendungen Dritter sind auch im Rahmen der Steuerermäßigung steuerlich nicht zu berücksichtigen.
– Die im Gesetz genannten Pflege- und Betreuungsleistungen sind personen- wie haushaltsbezogene Dienstleistungen, die zu den im Leistungskatalog der Pflegeversicherung aufgeführten Pflege- und Betreuungsleistungen zählen. Hierzu gehören insbes. neben sogenannten Grundpflegemaßnahmen und damit Maßnahmen der unmittelbaren Pflege am Menschen (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) auch Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung, wie Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung. Voraussetzungen oder Einschränkungen hinsichtlich eines Grads der Pflegebedürftigkeit enthält das Gesetz nicht.
– Anders als die Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen im eigenen Haushalt, ist die Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme von ambulanten Pflege- und Betreuungsleistungen auch dann zu gewähren, wenn die Pflege- und Betreuungsleistungen nicht im eigenen Haushalt des Stpfl., sondern im Haushalt der gepflegten oder betreuten Person ausgeübt oder erbracht werden. Dahingehende Aufwendungen können daher auch von Stpfl. (z.B. Angehörigen) geltend gemacht werden, die diese Aufwendungen getragen haben.
– Die Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme von ambulanten Pflege- und Betreuungsleistungen ist auch nicht auf die Kosten für Dienstleistungen beschränkt, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind. Die im Gesetz genannte dahingehende Beschränkung bezieht sich lediglich auf Aufwendungen, die dem Stpfl. wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege (in einem Heim) erwachsen.
– Die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung für Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Aufwendungen, die einem Stpfl. wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege erwachsen, setzt weder den Erhalt einer Rechnung noch die Einbindung eines Kreditinstituts in den Zahlungsvorgang voraus. Derartige Einschränkungen gelten nur für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen und für die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen.
Handlungsempfehlung:
Im Streitfall muss nun aber noch geklärt werden, ob vorliegend Aufwand der Mutter vorlag (dann kann die Steuerermäßigung bei der Tochter nicht gewährt werden) oder aber Aufwand der Tochter. Zwingend muss also der Stpfl., der die Kosten trägt und dann auch steuerlich geltend machen will, Leistungsempfänger sein. Dies sollte in der Praxis aus dem Vertrag mit dem Pflegedienstleister eindeutig hervorgehen.