Mit seinem Beschluss vom 24.11.2022 (2 BvR 1424/15, HFR 2023, 285) hat das BVerfG entschieden, dass die Übergangsregelung vom damaligen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum nunmehrigen Trennungssystem für Kapitalgesellschaften mit Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 des GG teilweise unvereinbar ist. Sie führt bei einer bestimmten Eigenkapitalstruktur zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial. Dieses unterfalle, soweit es im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren realisierbar war, dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG; der Eingriff in dieses Schutzgut sei nicht gerechtfertigt.
Dieser Beschluss ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach dem bis Ende 2000 geltenden Anrechnungsverfahren nicht ausgeschüttete steuerbare Gewinne von Körperschaften mit (zuletzt) 40 % Körperschaftsteuer belastet wurden (sog. Tarifbelastung). Kam es später zu Gewinnausschüttungen, reduzierte sich der Steuersatz auf (zuletzt) 30 % (sog. Ausschüttungsbelastung). Für die Körperschaft entstand so ein Körperschaftsteuerminderungspotenzial in Höhe der Differenz zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung, also in Höhe von zuletzt zehn Prozentpunkten. Beim Anteilseigner erfolgte die Besteuerung der Ausschüttung mit dem individuellen Einkommensteuersatz des Stpfl. unter Anrechnung der von der Kapitalgesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer. Nach dem Wechsel zum sog. Halbeinkünfteverfahren wird auf der Ebene der Körperschaft für Gewinne aber nur noch eine einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer in Höhe von (seit 2008) 15 % erhoben. Seit Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 unterliegen Ausschüttungen aus Beteiligungen, die im Privatvermögen gehalten werden, grds. dem Abgeltungsteuersatz von 25 %; Anteile im Betriebsvermögen unterliegen dem Teileinkünfteverfahren und werden zu 40 % steuerfrei gestellt (bzw. anfangs erfolgte eine 50 %ige Steuerfreistellung). Das seinerzeit im Zuge des Systemwechsels verbliebene KSt-Minderungspotenzial wurde in ein KSt-Guthaben umgewandelt, das während einer mehrjährigen Übergangszeit geltend gemacht werden konnte.
Im konkreten Streitfall ergibt sich – verkürzt dargestellt – die Unvereinbarkeit der Übergangsvorschriften vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren (hier: des § 36 KStG) mit dem Grundgesetz daraus, dass nach den gesetzlichen Regelungen ein (nicht zu rechtfertigender) Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial eingetreten ist, da ein Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals (das sog. EK 04, in dem offene und verdeckte Einlagen der Gesellschafter erfasst waren) unberücksichtigt bleiben soll.
Das BVerfG hat den Gesetzgeber verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß bis zum 31.12.2023 rückwirkend zu beseitigen. Diese Verpflichtung erfasse alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf den für verfassungswidrig erklärten Vorschriften beruhen. Bis zu einer Neuregelung dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Normen im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren seien auszusetzen.
Hinweis:
In einschlägigen Fällen sollte also sorgfältig geprüft werden, ob entsprechende finanzbehördliche Entscheidungen noch änderbar (nicht bestandskräftig) sind.