Zur Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen des Privatvermögens nach § 17 EStG hat der BFH mit Urteil v. 5.4.2022 (Az. IX R 19/20) entschieden,
– dass eigene Anteile der Kapitalgesellschaft bei der Bestimmung der relevanten Beteiligungsquote i.S. des § 17 EStG nicht zu berücksichtigen sind,
– dass bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG von den tatsächlichen Anschaffungskosten auszugehen ist,
– dass (vor dem Hintergrund der Absenkung der gesetzlich geforderten Wesentlichkeitsgrenze von ursprünglich 25 % auf 10 % und nachfolgend auf den aktuellen Wert von 1 %) verfassungsrechtlich gebotener Vertrauensschutz u.a. voraussetzt, dass die bis zum 31.3.1999 entstandenen Wertsteigerungen im Falle einer Veräußerung nach dem 31.3.1999 auch im Zeitpunkt der Veräußerung nach der bis zum 31.3.1999 geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können,
– und dass, wenn verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz geboten ist, die bis zum 31.3.1999 entstandenen Wertsteigerungen vom steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn abgezogen und insoweit von der Besteuerung ausgenommen werden müssen.
Im konkreten Streitfall, in dem die Anwendung von Vertrauensschutzmaßnahmen im Rahmen der Absenkung der sog. Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG im Zentrum stand, waren – vereinfacht dargestellt – der Stpfl. zu 25 % bzw. die Stpfl. zu 8 % an der W-GmbH seit deren Gründung im Jahr 1988 beteiligt; der Stpfl. war zugleich Geschäftsführer der W-GmbH. Vom 20.2.2007 bis zum 16.2.2011 hielt die W-GmbH eigene Anteile, so dass sich unter Außerachtlassung dieser eigenen Anteile eine Beteiligungsquote von 37,88 % (Ehemann) bzw. 12,12 % (Ehefrau) ergab.
Die Stpfl. veräußerten ihre Geschäftsanteile an der W-GmbH mit Wirkung zum 1.1.2013 und machten einen Verlust aus der Veräußerung der Anteile geltend.
Das FA ermittelte jedoch einen Gewinn; die dagegen gerichtete Klage wurde vom FG Köln abgewiesen. Der BFH hat das Ergebnis des FG Köln bestätigt und die Revision wie folgt als unbegründet zurückgewiesen.
Im Kern ging es um die Frage, ob die Übergangsregelung im Hinblick auf die seinerzeitige Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle zur Anwendung kam. Das BVerfG hatte entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Rückwirkung der gemeine Wert der Anteile am 31.3.1999 als fiktive Anschaffungskosten zu Grunde zu legen ist, wenn bei einer Veräußerung bis zum 31.12.1998 unter Zugrundelegung der 25 %-Quote kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entstanden wäre. Im Hinblick auf den Streitfall entschied der BFH,
– dass diese Voraussetzung beim Ehemann wegen seiner Beteiligungsquote über 25 % nicht vorlag. Im Streitfall war der Stpfl. im Zeitpunkt des Absenkens zwar nicht schädlich beteiligt, allerdings wurde innerhalb des nach der alten Rechtslage geltenden Fünfjahreszeitraums die maßgebliche (alte) Beteiligungshöhe überschritten.
– Allerdings fiel die Ehefrau unter diese Übergangsregelung. Das führte bei der Ehefrau zur Nichtbesteuerung des Veräußerungsgewinns. Jedoch wurde andererseits auch kein (fiktiver) Verlust ausgelöst durch den Ansatz des gemeinen Wertes im Zeitpunkt des Hineinwachsens in die Steuerpflicht auf Grund der Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle (im Streitfall lag der Verkaufspreis über den historischen Anschaffungskosten, jedoch unter dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt des Absenkens der Wesentlichkeitsschwelle).
Hinweis:
Die Besonderheit des Streitfalls lag u.a. darin, dass die Anteilswerte zunächst anstiegen und später wieder an Wert verloren und die Stpfl. aus der Anteilsveräußerung im Ergebnis gar keinen Verlust, sondern insgesamt einen Gewinn erzielt hatten. Ein Wertverlust in den Anteilen an der W-GmbH ergab sich erst nach dem 31.3.1999 (bis dahin waren Wertzuwächse zu verzeichnen).