Veräußerungsgewinne, also Gewinne aus der Veräußerung eines Einzelunternehmens, einer freiberuflichen Praxis oder eines Anteils daran oder auch einer Beteiligung an einer Personengesellschaft können unter bestimmten, insbesondere persönlichen Bedingungen bei der Einkommensteuer mit einem deutlich verminderten Steuersatz privilegiert zu erfassen sein. Voraussetzung ist insbesondere, dass der Stpfl. das 55. Lebensjahr vollendet hat oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Diese deutliche Steuersatzermäßigung kann materiell sehr bedeutsam sein.
Weiterhin ist zu beachten, dass diese Steuersatzermäßigung vom Stpfl. nur einmal im Leben genutzt werden kann. Falls also mehrere Veräußerungsgewinne realisiert werden, die die Voraussetzungen für diese Steuersatzermäßigung erfüllen, muss der Stpfl. wählen, für welchen Veräußerungsgewinn er diese Ermäßigung nutzen möchte. Daher wird die Steuersatzermäßigung auch nur auf Antrag des Stpfl. gewährt.
Eine aktuelle Entscheidung des BFH zeigt nun aber die Tücke dieser Regelung. Das Gericht hat mit Urteil vom 28.9.2021 (Az. VIII R 2/19) entschieden, dass der nur einmal im Leben mögliche ermäßigte Durchschnittssteuersatz bereits dann verbraucht ist, wenn das Finanzamt ihn in einem früheren Veranlagungszeitraum zu Unrecht gewährt hat. Der Stpfl. kann ihn dann für einen späteren Veräußerungsgewinn nicht mehr in Anspruch nehmen.
Im Urteilsfall ging es um einen Arzt, der an einer Gemeinschaftspraxis beteiligt war. Im Jahr 2006 erhielt die Gemeinschaftspraxis Nachzahlungen von der Kassenärztlichen Vereinigung, die dem Stpfl. anteilig zugerechnet wurden. Das Finanzamt des Stpfl. zog hieraus bei der Einkommensteuerveranlagung die falschen Schlüsse und gewährte fehlerhaft für diese Einkünfte die Steuervergünstigung für Veräußerungsgewinne, was zu einer Steuerminderung um ca. 8 000 € führte. Einen entsprechenden Antrag hatte der Stpfl. nicht gestellt. Der Stpfl. bemerkte zwar diesen Fehler des Finanzamtes, unternahm aber nichts. Im Streitjahr 2016 veräußerte nun der über 55 Jahre alte Arzt seinen Anteil an der Gemeinschaftspraxis und realisierte hieraus einen Veräußerungsgewinn. Er stellte nun den Antrag auf Anwendung des ermäßigten Durchschnittssteuersatzes auf diesen Veräußerungsgewinn. Dies lehnte das Finanzamt unter Hinweis auf die bereits im Jahr 2006 erfolgte Steuervergünstigung ab. Der BFH bestätigte die Handhabung des Finanzamtes. Denn die Steuervergünstigung kann nur einmal im Leben gewährt werden und dies war bereits im Jahr 2006 erfolgt. Unbeachtlich ist, dass die Gewährung für 2006 zu Unrecht erfolgte, da es sich damals nicht um einen Veräußerungsgewinn gehandelt hatte und weil der Stpfl. keinen Antrag gestellt hatte. Entscheidend ist allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Wenn der Stpfl. sich die Möglichkeit vorbehalten will, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist. Etwas anderes kann nur dann in Frage kommen, wenn der Stpfl. die frühere, zu Unrecht gewährte Steuerbegünstigung auf Grund ihrer geringen Höhe und wegen eines fehlenden Hinweises des Finanzamts nicht erkennen konnte.
Handlungsempfehlung:
Deutlich wird, dass den Stpfl. die Pflicht trifft, zu prüfen, ob die Steuersatzermäßigung gewährt wird und ggf. hiergegen vorzugehen, falls die Gewährung nicht beantragt wurde oder gar nicht in Frage kam. Ansonsten ist die Steuersatzermäßigung verbraucht und kann nicht für einen später tatsächlich anfallenden Veräußerungsgewinn genutzt werden.