Werden (nach dem 31.12.2008, also unter Geltung der Abgeltungsteuer erworbene) Aktien einem Aktionär ohne Zahlung einer Entschädigung entzogen, indem in einem Insolvenzplan das Grundkapital einer Aktiengesellschaft auf null herabgesetzt und das Bezugsrecht des Aktionärs für eine anschließende Kapitalerhöhung ausgeschlossen wird, erleidet der Aktionär einen Verlust, der bei den Einkünften aus Kapitalvermögen steuerlich geltend gemacht werden kann. Dies hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 3.12.2019 (Aktenzeichen VIII R 34/16 und das Parallelverfahren unter dem Aktenzeichen VIII R 43/18) gegen die Auffassung der Finanzverwaltung entschieden. Damit korrigiert das Gericht erneut die vielfach einschränkende Ansicht der Finanzverwaltung zur steuerlichen Anerkennung von Verlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen.
Im Streitfall hatte die Stpfl. am 14.2.2011 und am 16.1.2012 insgesamt 39 000 Namensaktien einer inländischen Aktiengesellschaft zu einem Gesamtkaufpreis von 36 262,77 € erworben. Im Streitjahr 2012 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. In einem vom Insolvenzgericht genehmigten Insolvenzplan wurde das Grundkapital der Aktiengesellschaft zur Verlustdeckung auf null herabgesetzt und eine Kapitalerhöhung beschlossen, für die ein Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen wurde (sog. „sanierende Kapitalherabsetzung auf null“). Der börsliche Handel der Altaktien wurde eingestellt und die Altaktionäre verloren ihre Gesellschafterstellung endgültig.
Wirtschaftlich betrachtet bewirkte die Kapitalherabsetzung auf null samt des Bezugsrechtsausschlusses für die Stpfl. als Altaktionärin, dass sie von jeder Beteiligung an den Fortführungswerten der A-AG, auch um den Preis weiterer Einlageleistungen, definitiv ausgeschlossen war. Da nur ein Gläubiger der A-AG an der anschließenden Kapitalerhöhung teilnehmen durfte, handelt es sich aus Sicht sämtlicher Altaktionäre um einen „totalen Squeeze-out“, denn das Insolvenzverfahren wurde dazu genutzt, die bisherigen Gesellschafter ohne Entschädigung aus dem insolventen, jedoch sanierungsfähigen Unternehmen zu drängen.
Da die Stpfl. für den Untergang ihrer Aktien keinerlei Entschädigung erhielten, entstand bei ihr ein Verlust in Höhe ihrer ursprünglichen Anschaffungskosten. Das Finanzamt wollte den Verlust aber steuerlich nicht berücksichtigen.
Der Bundesfinanzhof gab dagegen der Stpfl. Recht. Er beurteilte den Entzug der Aktien in Höhe von 36 262,77 € als steuerbaren Aktienveräußerungsverlust.
Zwar sei der Untergang der Aktien keine Veräußerung, da es sich um einen Vorgang handele, bei dem weder ein Entgelt gezahlt wurde noch hinsichtlich der Aktien ein Rechtsträgerwechsel stattfand. Auch werde der Vorgang vom Steuergesetz nicht ausdrücklich erfasst. Das Gesetz weise insoweit aber eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Die in der Insolvenzordnung geregelte Sanierungsmöglichkeit sei erst später eingeführt worden, ohne die steuerlichen Folgen für Kleinanleger wie die Stpfl. zu bedenken. Es widerspreche den Vorgaben des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes in seiner Konkretisierung durch das Leistungsfähigkeits- und Folgerichtigkeitsprinzip, wenn der von der Stpfl. erlittene Aktienverlust steuerlich nicht berücksichtigt werde, wirtschaftlich vergleichbare Verluste (z.B. auf Grund eines Squeeze-out oder aus einer Einziehung von Aktien durch die Aktiengesellschaft) aber schon.
Handlungsempfehlung:
Dies zeigt erneut, dass im Grundsatz wirtschaftliche Verluste bei den Einkünften aus Kapitalvermögen steuerlich zu berücksichtigen sind. Eine insoweit ablehnende Haltung der Finanzverwaltung ist kritisch zu überprüfen, da sich schon mehrfach gezeigt hat, dass die Ansicht der Finanzverwaltung insoweit durch das Gesetz nicht gedeckt ist.