Nachfolgend sind wichtige in 2023 veröffentlichte finanzgerichtliche Entscheidungen und Verwaltungsanweisungen zusammengefasst, die für die GmbH und ihre Gesellschafter Anlass sein können, bestehende Gestaltungen und Vereinbarungen zu überprüfen und ggf. anzupassen:
Organschaft
– Auslegung eines Gewinnabführungsvertrags ohne Verlängerungsklausel – keine steuerliche Rückwirkung eines notariellen Nachtragsvermerks: Der BFH hat mit seinem Urteil vom 13.7.2022 (Az. I R 42/18) zur Frage der tatsächlichen Laufzeit eines Ergebnisabführungsvertrags entschieden, dass im konkreten Streitfall zwischen der Organgesellschaft und der Organträger-GmbH kein steuerrechtlich wirksamer GAV und damit keine Organschaft gem. §§ 14, 17 KStG (mehr) bestanden hatte, weil die Vertragslaufzeit wegen fehlender Verlängerung abgelaufen war. Denn der Notar hatte den Vertragsablauf vertraglich konkret datiert, dabei eine Verlängerungsklausel zunächst übersehen und diese erst nach den Streitjahren per Nachtragsvermerk eingefügt. Die nach Ablauf des GAV abgeführten Gewinne an die (vermeintliche) Organträger-GmbH werteten FinVerw und BFH als vGA, weil eben die Vertragslaufzeit wegen fehlender Verlängerung abgelaufen war. Es müsse ausgeschlossen sein, dass den Vertragsparteien je nach wirtschaftlicher und steuerlicher Situation ein „faktisches Wahlrecht“ eingeräumt werde, sich entweder auf den konkreten Vertragstext oder aber auf ein Redaktionsversehen zu berufen. Auch ein zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommener Nachtragsvermerk eines Notars entfalte keine steuerliche Rückwirkung, wenn sich der tatsächlich gewollte Vertragsinhalt nicht objektiv aus den Vertragsregelungen heraus ergebe und unklar sei, wie eine mögliche Lücke in der Vertragsurkunde zu füllen ist.
Hinweis:
Dieses Urteil unterstreicht, dass bei der Abfassung von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen höchste Sorgfalt geboten ist. Unschärfen gehen steuerlich i.d.R. zu Lasten der beteiligten Unternehmen.
– Tatsächliche Durchführung eines Gewinnabführungsvertrags: Mit seinem Urteil vom 2.11.2022 (Az. I R 37/19) hat der BFH entschieden, dass sich die tatsächliche Durchführung eines Gewinnabführungs-vertrags (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG) nicht nur auf den Schlusspunkt des Ausgleichs aller aus dem Gewinnabführungsvertrag resultierenden Forderungen und Verbindlichkeiten bezieht, sondern dass die entsprechenden Forderungen und Verbindlichkeiten auch in den Jahresabschlüssen gebucht werden müssen. Die tatsächliche Durchführung eines EAV vollziehe sich vielmehr in zwei Stufen. Die erste Stufe erfordere, dass die entsprechenden Forderungen/Verbindlichkeiten aus dem EAV sowohl bei der Organträgerin als auch bei der Organgesellschaft bilanziell ausgewiesen werden. Im Anschluss müssen im zweiten Schritt die vertraglichen Vereinbarungen tatsächlich vollzogen werden, also Gewinne durch Zahlung oder Verrechnung an den Organträger abgeführt bzw. Verluste ausgeglichen werden. Die reine Buchung der Forderung/Verbindlichkeit aus dem EAV ohne Erfüllungswirkung sei nicht ausreichend.
Zudem soll nach Feststellung des BFH die Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags während der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren nicht nur zu einer Unterbrechung der körperschaft-steuerrechtlichen Organschaft für einzelne Veranlagungszeiträume führen, sondern insgesamt eine (rückwirkende) Nichtanerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft nach sich ziehen.
Hinweis:
In der praktischen Umsetzung ist also mit höchster Sorgfalt auch schon auf die korrekte bilanzielle Abbildung der Organschaft zu achten. Denn nach der Entscheidung des BFH (die i.Ü. explizit gegen einen Teil der Auffassung in der Fachliteratur getroffen wurde) kann eine fehlerhafte Bilanzierung des Ausgleichsanspruchs auch nicht als fehlerhafter Bilanzansatz i.S. der Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 KStG angesehen werden; eine „Heilung“ über diese Fiktion scheidet aus.
– Tatsächliche Durchführung eines Gewinnabführungsvertrags (Verrechnungskonto): Mit seinem nicht rechtskräftigen Urteil vom 21.6.2022 hat das FG Köln (Az. 10 K 1406/18) entschieden, dass ein GAV nur dann auch tatsächlich durchgeführt ist, wenn die durch ihn begründeten Verpflichtungen innerhalb angemessener Zeit beglichen werden. Daher führe die bloße Verbuchung auf einem Verrechnungskonto ohne zeitnahen Ausgleich auch nicht zur Begleichung der durch den GAV begründeten Verpflichtung in angemessener Zeit. Im konkreten Streitfall war zunächst lediglich der von der Organ-GmbH an den Organträger abzuführende Gewinn (ebenso wie Zinszahlungen) gegen das Konto „Verbindlichkeiten gegen Gesellschafter“ gebucht worden. Auf diesem Verrechnungskonto erfolgten dann aber keinerlei weitere Buchungen.
Hinweis:
Die weitere Rechtsentwicklung ist angesichts der beim BFH unter dem Az. I R 37/22 anhängigen Revision aufmerksam zu beobachten. Unstreitig ist jedenfalls, dass ein schlichter Verbindlichkeitsausweis zur Anerkennung der „Durchführung“ der organschaftlichen Organschaft nicht genügt.
– Tatsächliche Durchführung eines Gewinnabführungsvertrags (Erfüllungssurrogate): Mit seinem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 30.6.2022 hat das FG Hamburg (Az. 6 K 182/20) zur Frage der tatsäch-lichen Durchführung eines Ergebnisabführungsvertrags entschieden, dass der Durchführung eines Ergebnisabführungsvertrags die Umwandlung eines Gewinnabführungs- oder eines Verlustübernahme-anspruchs in ein Darlehen grundsätzlich nicht entgegensteht und dass ein solches Darlehen auch nicht fremdüblich vereinbart sein muss (zeitnahe Erfüllung durch Erfüllungssurrogate). Allerdings müsse, so das FG, der Darlehensanspruch werthaltig sein, damit der Vertrag als durchgeführt anzusehen (und damit die Organschaft anzuerkennen) sei.
Hinweis:
Das FG Hamburg unterstreicht also nochmals die tatsächliche Durchführung der GAV. Hier soll es einerseits nicht genügen, schlicht Forderungen und Verbindlichkeiten einzubuchen, da der Anspruch auf Gewinnabführung als auch die Verpflichtung zum Verlustausgleich mit Ablauf des jeweiligen Geschäfts-jahrs der Organgesellschaft entstehen. Andererseits soll aber – als praktikabler Ausweg – die Umwandlung in ein Darlehen ausreichend sein, wobei die vorherige Erfüllung der gegenseitigen Ansprüche durch Zahlung und anschließende Neuausreichung als Darlehen ebenso wenig erforderlich sein soll wie die Vereinbarung einer marktüblichen Verzinsung. Der Umwandlung der Forderung in ein Darlehen sollte eine klar dokumentierte Vereinbarung zugrunde liegen.
Steuerfragen auf der Gesellschaftsebene:
– Dividendenfreistellung bei Streubesitzdividenden – Berechnung der Beteiligungsschwelle: Der Regelungskreis des § 8b KStG sieht (mit dem Ziel der Vermeidung einer mehrfachen Körperschaftsteuer-belastung/Vermeidung des sog. Kaskadeneffekts) vor, dass Dividendenerträge und Veräußerungs-ergebnisse auf der Ebene der Mutter-GmbH bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, also bei dieser – verkürzt dargestellt – steuerfrei sind. Dies gilt in Bezug auf Dividendenerträge aber nur dann, wenn die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital der ausschüttenden Gesellschaft zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar mindestens 10 % betragen hat. Zur Berechnung dieser Beteiligungsschwelle hat der BFH mit Urteil vom 7.6.2023 (Az. I R 50/19) entschieden, dass entscheidend auf das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen abzustellen ist, also die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 AO maßgebend ist. Im konkreten Streitfall hatte die Anteilsübertragung nach dem Kaufvertrag zwar unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung gestanden (die – auf Grund einer zunächst fehlgeschlagenen Überweisung – erst im Januar erfolgte), der BFH nahm aber den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bereits zu Jahresbeginn an, da die erwerbende GmbH schon eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hatte.
Hinweis:
Dieses Ergebnis entspricht der h.M. im Fachschrifttum; es genügt also der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, um die Dividendenbefreiung geltend machen zu können. Im konkreten Fall ist eine sorgfältige Gestaltung des Anteilsübergangs notwendig, um für den Erwerber die Steuerbefreiung von Gewinnausschüttungen sicherzustellen.
Steuerfragen auf der Gesellschafterebene:
– Steuerliche Behandlung eines punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses: Mit seinem Urteil vom 28.9.2022 (Az. VIII R 20/20) hat sich der BFH explizit gegen die Auffassung der FinVerw gestellt und entschieden, dass ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, erzielt demnach auch keine Einkünfte.
Hinweis:
Insoweit führt der BFH seine Rechtsprechung fort, nach der inkongruente Gewinnausschüttungen steuerlich durchaus anzuerkennen sein können. Dem Vernehmen nach ist insoweit eine Stellungnahme der FinVerw zu dieser geänderten Rechtsprechung in Vorbereitung.
– Anwendung des § 17 EStG bei der sog. Wegzugsbesteuerung: Mit Urteil vom 21.12.2022 (Az. I R 55/19) hat der BFH bestätigt, dass § 6 AStG die Rechtsfolgen des § 17 EStG auch auf die Fälle der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht ausdehnt, also einen besonderen Steuerentstrickungs-tatbestand ohne Gewinnrealisierung beinhaltet. Erfasst werden soll mit dieser Regelung der die Beteiligung betreffende Wertzuwachs während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht. Allerdings entfällt die Besteuerung nachträglich, wenn der Stpfl. innerhalb von sieben Jahren seit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird. Nach Ansicht des BFH sei dieses Merkmal einer „nur vorübergehenden Abwesenheit“ schon dann erfüllt, wenn der Stpfl. tatsächlich innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird. Auf eine (subjektive) „Rückkehrabsicht“ komme es nicht an.
Hinweis:
Dieses Urteil des BFH unterstreicht, dass ein Wegzug in Drittstaaten erhebliche steuerliche Risiken mit sich bringen kann. Daher sollte frühzeitig steuerlicher Rat eingeholt und auch schon vorsorglich erwogen werden, bereits bei Wegzug im Sinne einer Beweisvorsorge einen etwaigen Rückkehrwillen zu dokumentieren.
– Schuldzinsenabzug beim Gesellschafter aus einem Darlehen zur Finanzierung einer Bürgschaftsinanspruchnahme: Mit seinem Beschluss vom 22.2.2023 (Az. VIII B 4/22) hat der BFH zum Werbungskostenabzug eines GmbH-Gesellschafters im Bereich der sog. Abgeltungsteuer entschieden, dass der Abzug von Schuldzinsen für ein Refinanzierungsdarlehen, das zur Finanzierung einer Bürgschaftsinanspruchnahme aufgenommen wird, bei den Einkünften aus Kapitalvermögen vorbehaltlich der Regelung in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG ausgeschlossen ist.
Hinweis:
Dieser Beschluss unterstreicht, dass im Bereich der Abgeltungsteuer in der praktischen Gestaltung gerade von Refinanzierungen und Bürgschaftsübernahmen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32d EStG sehr sorgfältig zu prüfen sind, um im konkreten Einzelfall auch einen Abzug der tatsächlichen Werbungskosten erreichen zu können. Dagegen ist ein Abzug der Refinanzierungszinsen dann möglich, wenn die GmbH-Beteiligung in einem steuerlichen Betriebsvermögen gehalten wird bzw. wurde. Insoweit sind frühzeitig Gestaltungen hinsichtlich der optimalen Finanzierungsstruktur zu prüfen.