In einer großen Breitenwirkung entfaltenden Entscheidung v. 11.4.2024 (Az. VI R 1/22) hat der BFH festgestellt, dass
– die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt bemisst.
– Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer für die zuschlagsbewehrte Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen einen Anspruch auf Grundlohn hat.
Damit weicht das Gericht ausdrücklich von seiner früheren Rechtsprechung (Urteil v. 27.8.2002, Az. VI R 64/96) ab.
Im Streitfall betreibt die Stpfl. eine Förderschule mit angeschlossenem Internat für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen. Die in Wohngruppen lebenden Kinder und Jugendlichen werden von den Mitarbeitern auch in der Nacht betreut. Die Arbeitsentgelte waren im Wesentlichen wie folgt geregelt:
– Die wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit des Betreuungspersonals betrug im Streitzeitraum bei Vollzeitbeschäftigung durchschnittlich 39 Stunden. Die regelmäßigen monatlichen Dienstbezüge setzten sich aus der monatlichen Regelvergütung, dem sogenannten Tabellenentgelt, der Kinderzulage und den sonstigen Zulagen zusammen. Die Zeit der nächtlichen Beaufsichtigung wurde gem. den arbeitsvertraglichen Regelungen als Bereitschaftsdienst behandelt.
– Nach den arbeitsvertraglichen Regelungen wurde die Bereitschaftsdienstzeit zum Zwecke der Entgeltberechnung faktorisiert und nur zu 25 % als Arbeitszeit entgolten. Daneben erhielten die Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst in den Nachtstunden je tatsächlich geleisteter Stunde einen Zeitzuschlag i.H.v. 15 % des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts.
– Das den Mitarbeitern danach zustehende Bereitschaftsdienstentgelt buchte die Stpfl., soweit die faktorisierte Arbeitszeit entgolten wurde, unter der Lohnart 100 und versteuerte diesen Lohn regulär. Den Zeitzuschlag für die Zeit von 0:00 Uhr bis 6:00 Uhr zahlte sie steuerfrei aus, führte hierüber entsprechende Aufzeichnungen und buchte diesen als Lohnart 120 gesondert.
Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, die den Beschäftigten gezahlten Zuschläge hätten über den im Gesetz genannten Höchstgrenzen gelegen und seien insoweit zu Unrecht steuerfrei ausgezahlt worden. Als Bemessungsgrundlage für die Steuerfreiheit der Zuschläge und damit als Grundlohn i.S.d. Berechnung der höchstzulässigen Beträge sei nicht das Tabellenentgelt, sondern lediglich das Entgelt für den Bereitschaftsdienst anzusetzen.
Der BFH bestätigt nun aber die Steuerfreiheit der streitigen Nachtarbeitszuschläge. Die Steuerfreiheit der streitigen Nachtarbeitszuschläge sei zu Recht nach den regelmäßigen monatlichen Dienstbezügen der Beschäftigten (Grundlohn) und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt bemessen.
Hintergrund ist, dass die Steuerfreiheit von solchen Zuschlägen an folgende Voraussetzungen geknüpft ist:
– Nach der gesetzlichen Regelung sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei, soweit sie die im Gesetz genannten Grenzen des Grundlohns nicht übersteigen. Grundlohn ist der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn umzurechnen und mit höchstens 50 € anzusetzen. Grundlohn (laufender Arbeitslohn) steht dem Arbeitnehmer zu, wenn er diesem bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum auf Grund arbeitsvertraglicher Vereinbarung geschuldet wird. Ob und in welchem Umfang der Grundlohn dem Arbeitnehmer tatsächlich zufließt, ist für die Bemessung der Steuerfreiheit der Zuschläge ohne Belang.
– Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist weiter, dass die Zuschläge neben dem Grundlohn geleistet werden; sie dürfen nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, auch an Sonn- und Feiertagen oder nachts geleistete Tätigkeit sein. Hierfür ist regelmäßig erforderlich, dass in dem Arbeitsvertrag zwischen der Grundvergütung und den Erschwerniszuschlägen unterschieden und ein Bezug zwischen der zu leistenden Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit und der Lohnhöhe hergestellt ist. Es muss sich bei den Zuschlägen objektiv um ein zusätzlich (zum Grundlohn) geschuldetes Arbeitsentgelt für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit handeln.
– Darüber hinaus muss die Zahlung des Zuschlags zweckbestimmt erfolgen. Die Steuerbefreiung setzt dementsprechend voraus, dass die neben dem Grundlohn gewährten Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt worden sind. Hierzu zählt jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers. Ohne Bedeutung ist hingegen die arbeitszeitrechtliche Einordnung der Tätigkeit nach dem Arbeitszeitgesetz. Die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit im Sinne des gesetzlichen Arbeitszeitschutzrechts schließt es folglich nicht aus, die zu diesen Zeiten vom Arbeitnehmer de facto erbrachten Arbeitsleistungen als tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit zu qualifizieren.
– Zudem erfordert die Steuerfreiheit der Zuschläge grundsätzlich Einzelaufstellungen der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden an Sonn- und Feiertagen oder zur Nachtzeit.
Nach diesen Maßstäben waren im Streitfall die Zuschläge steuerfrei zu belassen. Die Stpfl. hat die steuerfrei belassenen Nachtarbeitszuschläge neben dem Grundlohn (zusätzlich) geleistet. Auch steht der Steuerfreiheit der Zuschläge nicht entgegen, dass die Mitarbeiter der Stpfl. während ihrer Bereitschaftsdienste keinen Anspruch auf Grundlohn hatten, sondern diese Tätigkeit mit dem Bereitschaftsdienstentgelt „gesondert“ vergütet wurde. Die Höhe der Steuerfreiheit der Nachtarbeitszuschläge ist nicht nach dem (anteilig) für den Bereitschaftsdienst gezahlten Bereitschaftsdienstentgelt, sondern nach dem vollen auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelt zu bemessen. Denn nur das Tabellenentgelt ist der Grundlohn i.S. dieser Vorschrift und damit die maßgebliche Größe, nach der die Steuerfreiheit der Zuschläge der Höhe nach zu berechnen ist.
Handlungsempfehlung:
Diese Entscheidung dürfte in der Praxis vielfach zur Anwendung kommen. Insoweit sind die Abrechnungen im Einzelfall zu überprüfen und ggf. anzupassen.