Mit seinem zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenen Urteil v. 22.11.2023 (Az. I R 9/20) hat der BFH zu den Voraussetzungen einer vGA entschieden,
– dass für die Frage, ob eine Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, bei der Prüfung eines möglicherweise fehlenden Zuwendungswillens auf Grund Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers nicht darauf abzustellen ist, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre,
– sondern dass allein maßgebend ist, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem solchen Irrtum unterlegen ist.
Im Streitfall hatte – verkürzt dargestellt – eine GmbH-Neu geklagt, deren Stammkapital durch Einbringung eines 100 %igen Geschäftsanteils an einer anderen GmbH sowie durch eine Bareinlage erbracht worden war. Alleingesellschafterin der GmbH-Neu war B. Nach der Gründung war eine Kapitalerhöhung bei der eingebrachten GmbH durchgeführt worden; die Alleingesellschafterin B wurde – entgegen der ursprünglichen Vertragsfassung – zur Übernahme des neuen Geschäftsanteils zugelassen. Die Einzahlung der Stammeinlage auf den neuen Gesellschaftsanteil erfolgte jedoch durch die GmbH-Neu (Stpfl.). In der Folge wurden zudem beide Geschäftsanteile von der Stpfl. bilanziert und auch die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der GmbH (in 2008 und 2009) allein durch die Stpfl. gefasst. In 2010 wurde dann ein Geschäftsanteilsübertragungsvertrag beurkundet, auf dessen Basis nun die Stpfl. auch die neuen Anteile an der eingebrachten GmbH erwerben sollte. Im notariellen Vertrag wurde ausgeführt, dass die vorherige Übernahme des neu gebildeten Geschäftsanteils durch B irrtümlich erfolgte und eigentlich für die Stpfl. vorgesehen war.
Die FinVerw vertrat dazu die Auffassung, dass die Stpfl. auf eine Teilnahme an der Kapitalerhöhung bei der GmbH in 2008 verzichtet und sie stattdessen unentgeltlich ihrer Alleingesellschafterin B ermöglicht habe, daran teilzunehmen. In diesem Verzicht liege eine vGA zu Gunsten der Alleingesellschafterin, die mit dem Teilwert des im Rahmen der Kapitalerhöhung von B erworbenen Geschäftsanteils zu bewerten sei. Ferner habe die Stpfl. anstelle der Alleingesellschafterin die Stammeinlage eingezahlt – auch darin sei eine vGA zu sehen.
Nach Abweisung der dagegen gerichteten Klage durch das FG hat der BFH im Revisionsverfahren die Sache an das FG zurückverwiesen und in seiner Begründung u.a. auf folgende Aspekte abgestellt:
– Es sei allein maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen war, so dass diese Frage vom FG nicht offen gelassen werden konnte (dieser Aspekt muss also vorliegend noch aufgeklärt werden).
– VGA seien nach ständiger Rechtsprechung Vermögensminderungen (verhinderte Vermögensmehrungen), die u.a. durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst oder mitveranlasst sind. Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis wird regelmäßig dann angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden Person einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.
– Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bedürfe es i.d.R. weder der Absicht, Gewinne verdeckt auszuschütten, noch eines entsprechenden Ausschüttungsbewusstseins. Der handelnde Gesellschafter muss auch nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Die objektiven Abläufe sprechen insoweit grundsätzlich für sich und reichen aus, um den Tatbestand einer vGA erfüllen zu können.
– Sollte es allerdings am Zuwendungswillen fehlen, der zur Annahme einer vGA erforderlich ist, dann scheide eine vGA aus, weil es dann an der konkreten Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis fehlt. Dies könne etwa bei subjektiven Entschuldigungsgründen (auf Grund Unerfahrenheit oder der besonderen persönlichen Situation des Handelnden) der Fall sein.
Hinweis:
Mit diesem Urteil hat der BFH seine Rechtsprechung bestätigt und fortentwickelt, nach der im Rahmen des Tatbestands der vGA ausnahmsweise doch subjektive Elemente von Bedeutung sein können – wenn es nämlich an jeglichem finalem Zuwendungswillen in Richtung eines Vermögenstransfers zu Lasten der Gesellschaft und zu Gunsten des Gesellschafters fehlt (gegeben z.B. bei Buchungsfehlern eines steuerlichen Beraters).
Für diesen und auch für weitere Sachverhalte herauszustellen ist die sehr klare Formulierung des BFH, wonach „der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter eine idealtypische Denkfigur ist, die alle Gegebenheiten des Geschäftsvorfalls kennt und sich infolgedessen per definitionem nicht in einem Irrtum befinden kann“.